Leipzig zeigt die erste große Ausstellung zu Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst

 

Geschichte zwischen Memleben, Quedlinburg und Gera

 



Die Sonderausstellung „Wissen und Macht. Der heilige Benedikt und die Ottonen“ im  Kloster Memleben

Von Angelika Bohn

Es macht Spaß, die großen Puzzle-Teile in die Hand zu nehmen. Wer ist mit wem wie verwandt? Mathilde, Otto, Edgith,Wilhelm, Theophanu, Adelheid – mittels der über ganz Europa verstreuten Teile lässt sich die Frage klären. Unter dem Titel „Wissen und Macht“ widmet sich in diesem Sommer das Museum Memleben dem heiligen Benedikt und den Ottonen.

Selten wird mittelalterliche Geschichte am authentischen Ort so lustvoll erlebbar, wie in diesem wenig bekannten Ort, zu finden zwischen Nebra, dem Fundort der Himmelsscheibe, und dem thüringischen Wiehe, der kleinen Stadt mit der weltgrößten Modellbahn-Ganzjahresschau. Dabei war Memleben im Mittelalter ein wichtiges Drehkreuz und Sterbeort gleich zweier deutscher Kaiser.

Als Heinrich I. und seine Sohn Otto I., später der Große genannt, hier starben, stand in Memleben eine Monumentalkirche, 82 Meter lang, 39,5 Meter breit.  Das heilige römische Reich deutscher Nation der Ottonen reichte von Nord- und Ostsee bis Italien. Zugleich haben sie gerade in Thüringen und Sachsen-Anhalt unzählige Spuren hinterlassen.  Nach dem Tod seines Vaters in Memleben gründete Otto I. das Stift Quedlinburg, das die Erinnerung an den großen Kaiser pflegen sollte.  Sein Enkel Otto III. schenkte 999 seiner Schwester Adelheid,  Äbtissin von Quedlinburg, einen über 200 km entfernten Flecken namens Gera. Nicht nur Gera, auch  Potsdam verdankt einer Urkunde Otto III. seine Ersterwähnung.

Durch Bauten und Prachtentfaltung, etwa dem berühmten Quedlinburger Domschatz, haben die Ottonen Mitteldeutschland zu einer reichen Kulturlandschaft gemacht, durch die Ansiedlung geistlicher Einrichtung nahmen Wissen, Handwerk und nicht zuletzt der Weinbau Fahrt auf.  In Memleben waren es Benediktiner, an anderen Orten hießen die Kaiser  Zisterzienser, Prämonstratenser, Karmeliten, Franziskaner und Klarissen Klöster gründen. Sie sorgten für die Verbreitung des Christentums und  leisteten Entscheidendes für die Entwicklung., macht die Schau „Wissen und Macht“ anschaulich erfahrbar.

Als Martin Luther 1517 seine Thesen veröffentlichte, gab es zwischen Saale und Unstrut noch fast 50 Männer- und Frauenkonvente. Rund 600 Jahre klösterlicher Prägung gingen im Kernland der Reformation zu Ende. Die Klöster wurden aufgehoben. Was nicht als Schule oder Erziehungsanstalt überlebte, diente als Getreidespeicher, Steinbruch und geriet in Vergessenheit.

Das gilt auch für Kloster Memleben. Allerdings setzte hier der Niedergang vom mittelalterlichen Drehkreuz zur Bedeutungslosigkeit bereits nach dem frühen Tod Otto III. Ein. Der hatte den Benediktiner noch Markt-, Münz-, Zollrecht und den Bann verliehen. Sein Nachfolger entzog dem Kloster 1015 alle diese Rechte. 1033 weilte letztmals ein deutscher König vor Ort. 1525 wurde das Kloster im Bauernkrieg geplündert. Dann zog der sächsische Kurfürst alle Güter ein und vermachte sie der kurz zuvor gegründeten Landesschule Pforta. Kloster und die im 13. Jahrhundert errichtete Klosterkirche wurden landwirtschaftlich genutzt, in der DDR befand sich zuletzt ein Volkseigenes Gut hier, nach 1989  baute die Gemeinde auf dem Areal ein Museum auf. Für dessen solide Ausstattung wurde 2008 eine Stiftung geschaffen, das Land Sachsen-Anhalt stiftete ca. 600 Hektar landwirtschaftliche Flüche im Umfeld zu, um Museum und Klosteranlage dauerhaft zu sichern.

Sonderausstellungen inklusive. Auf 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche hat Museumsleiterin Andrea Knopik sachkundig, spannend und mit spielerischen Elementen für alle Altersgruppen die fruchtbare Beziehung zwischen dem heiligen Benedikt und den Ottonen inszeniert. Die sich natürlich nie begegneten, trennten doch vier Jahrhunderte ihre Lebenszeiten. Erzählt wird von der Ankunft der Ordensbrüder im Unstruttal und den kulturellen Impulsen, die sie der Region gaben. Was eine wissenschaftliche Tagung zur Entwicklung der Klosterlandschaft an Saale, Unstrut und Elster unter dem Aspekt von Wissenstransfer und Mission, Kirche und Herrschaft an Ergebnissen zu Tage brachte, ist im Tagungsband „Wissen und Macht“ nachzulesen.

Übrigens, wer zwischen 25. und 29. Juli Memleben besucht, kann dort aktive Benediktinermönche der Abteil Münsterschwarzach treffen. Sie beleben das Ausstellungsprogramm mit Gesprächsrunden, einer Klosterwerkstatt und Gebetsangeboten.

Die Ausstellung „Wissen und Macht. Der heilige Benedikt und die Ottonen“ bis 15. Oktober, geöffnet täglich 10 bis 18 Uhr

Zeichner aus Gera und dem Rest der Welt

 



Die Ausstellung „Anonyme Zeichner“ in Berlin entkoppelt Kunst und Künstler

Von Angelika Bohn

Aus 2000 Einsendungen aus Deutschland und vielen Ländern der Welt haben die Berliner Künstlerin und Projektgründerin Anke Becker und das Künstlerduo Reinert/Hinsberg 600 Zeichnungen ausgewählt. Natürlich erfolgt die Auswahl anonym. Die Zeichnungen  hängen nun, zu inhaltlichen Blöcken geordnet, in den großen Wandnischen der Galerie im Körnerpark Berlin.

 Die Schau „Anonyme Zeichner“ lockt nicht mit bekannten Namen, sondern entkoppelt Kunst und Künstler. Herausgefordert wird allein das Urteil des Betrachters. Ist das Kunst? Oder kann das weg? Kann das mein fünfjähriger Enkel besser oder ist der ungelenke Strich Absicht? Ist der Zeichner ein Witzbold, ist er überhaupt ein Künstler, also jemand, der an einer einschlägigen Hochschule studiert hat? Falls ja, muss er dort übrigens nicht unbedingt Zeichnen gelernt haben.

„Anonyme Zeichner“ ist Konzeptkunst und Ausstellung zugleich. Seit 2006 gibt es das Projekt, das von Jahr zu Jahr größere Kreise zieht. Bis Erfurt, wie ein bereits aufgedeckter Name belegt, bis Gera, wo ebenfalls  anonyme Zeichner zu Hause sind.

Bei „Anonyme Zeichner“ werden alle vermeintlichen Gewissheiten über Kunst ausgeblendet. Die Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst ist fließend. Das will offensichtlich  auch die Auswahl deutlich machen, denn beteiligen kann sich jeder. Es gibt  nur eine formale Vorgabe: Die Zeichnung darf das Format A3 darf nicht überschreiten. Sie  darf aber kleiner sein und in einen handelsüblichen Briefumschlag passen. So wird es seit der ersten Ausstellung 2006 in Berlin gehandhabt. Seither waren „Anonyme Zeichner“ auch schon in Basel und Kopenhagen,Zürich, Eindhoven und Leipzig, Braunschweig, Rom, Wien und Rüsselsheim zu sehen.

Immer ist das Prozedere das selbe: Die Arbeiten werden ohne Nennung der Künstlernamen ausgestellt. Der Ausstellung geht ein für alle offener, internationaler Aufruf zum Einsenden von Zeichnungen voraus. Biografie, Alter und Geschlecht der Teilnehmer werden nicht erfragt. Die Teilnahme ist kostenlos. Alle Zeichnungen werden zu einem Einheitspreis von 200 Euro zum Verkauf angeboten. Der Verkauf hebt die Anonymität auf, indem die Zeichnung direkt von der Ausstellungswand genommen und der Name des Künstlers an die Leerstelle auf der
Wand geschrieben wird.

Drei Wochen nach der Eröffnung fehlt Pi mal Daumen ein Zehntel der Zeichnungen. Was ein bisschen schade ist, wüsste man doch gerne, was auf den Blättern zu sehen war. Strichmännchen oder süße Katzen oder akribisch Ausgemaltes? Was nur zeigte die  Arbeit der Frau aus Buenos Aires? Gekauft werden kann jeden Mittwoch und Donnerstag zwischen 17 und 20 Uhr vor Ort, oder online unter www.anonyme-zeichner.de Gezeigt wird die Ausstellung bis 19. September.

Die Last der Welt



Umfassende Werkschau zum 75. Geburtstag des Malers und Zeichners Horst Sakulowski im Panorama Museum Bad Frankenhausen

Von Angelika Bohn

Die große Ausstellung im Panorama Museum Bad Frankenhausen spannt den Bogen von den Anfängen bis zur Gegenwart –  das bedeutet im Fall Horst Sakulowski nicht mehr und nicht weniger als 50 Schaffensjahre.
Fünf Jahrzehnte ist es her, seit der Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst 1967 zusammen mit seiner Frau Karin, einer jungen Ärztin, ins ostthüringische Weida zog. Die Sakulowskis, bald darauf zu dritt mit Sohn Rolf, wurden schnell heimisch. Bald schon machte auch der junge Maler von sich reden, mit Gemälden, über die man redete.

Schlüsselwerke, die das Panorama Museum Bad Frankenhausen für die umfassende Werkschau zum 75. Geburtstag des Maler versammelt: „Am Strand“ von 1973, Verneigung vor den verehrten Surrealisten, zu denen der Maler dann doch nicht gehören wird. „Deutschland 1525 – Die Auferstehung“ von 1974, eine Schwangere aufrecht durch verheertes Land schreitend und eben mehr als nur Referenz an den in der DDR als „frühbürgerliche Revolution“ zu seinem 450. Jubiläum gefeierten Bauernkrieg.  Oder  „Alptraum des Diktators“, ein Gemälde, das 1978 von Pinochet aufs Exemplarische zielt und genau trifft, wie man heute sieht.

Horst Sakulowski verweigert sich als junger Maler gewünschten Themen nicht, sofern er sie in sein vom christlichen Saalfelder Elternhaus geprägtes Weltbild aufnehmen kann und er dabei seine ästhetische Form findet. Als mit der politischen Wende 1990 der Künstler nun bitteschön Angebote machen soll, hält der Denker in Weida an dieser Haltung zu Welt und Zeit fest. So heißt die Schau zum 75. in Bad Frankenhausen auch selbstbewusst „Sakulowski. Weltbild“. Der Titel, zwei Paukenschläge, Name und Sachverhalt, statt beschwingtem Blick zurück  strenge Selbstbefragung. Zugleich geht die  Einladung an den Betrachter, den Künstler auf dieser Weltschau zu begleiten.

Nicht, dass die Werkschau nicht auch opulent wäre in ihrer Vielfalt und Vielgestaltigkeit –  spannende Sichtachsen, die delikate Farbigkeit der Gemälde, die feinen Radierungen, dazu die sich Jahr für Jahr immer mehr verdichtenden Zeichnungen: mit nichts mehr als Bleistiftstrichen herbeigezauberte Weltlandschaften,  grandiose Köpfe und Figuren.  Doch die Werkschau auf Malerei, Grafik und Zeichnung ist in erster Linie Bilanz, gezogen vom Künstler selbst, in dessen Hand Auswahl und Konzeption lagen. Deutlich markiert sie die beiden Pole seiner Welt: Erlösung und Vergebung der eine, Versuchung und Verführung der andere.

Nicht alle seiner Schlüsselbildern wandern wie das populäre „Porträt nach Dienst“ von einer thematischen Ausstellung zu nächsten. Derzeit hat es die Kunstsammlung Jena nach Trier ausgeliehen und es ist im Panorama Museum nur im biografischen Teil der Schau als Reproduktion zu sehen.  Spannend nach langer Zeit im Depot ist das Wiedersehen mit der 1980 entstandenen  „Verantwortung“.  Sie gehört der Sammlung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Hält das Gemälde, in dem der Künstler ein Sinnbild für den Gewissenskonflikt des Soldaten fand, auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer stand?

Mit der in ihrer ungeschönten Würde so altmeisterlich anmutenden Zeichnung der Mutter aus den 70er Jahren, den Jahrzehnte später in Erinnerung an den Vater, der Uhrmacher war, gezeichneten Landschaften mit Zeitmessern, befragt der Künstler  die Wurzeln seines Weltbilds. 1987 malt er, inspiriert vom Film „Einer trage des anderen Last“ mit „Christophorus“ eines seiner zentralen Bilder. 1990 spannt Horst Sakulowski in „Die Brücke“ den Bogen von Christus über die in den Lagern des 20. Jahrhunderts ermordeten Häftlinge bis zu den Opfern der Securitate. 2008 folgt „Passion“, in der Ausstellung markiert dieses Bild die Mitte, den Mittelpunkt von Werk und Schaffen.  

Immer wieder kreisen seine Zeichnungen um die Frage, was widerführe Christus, dem Verkünder von Nächstenliebe und Toleranz, käme er heute in unsere Welt. Die Zeichnung ist die Technik, der sich der Künstler ab den 90er Jahren forciert zuwendet, in der er seine ästhetischen Mittel verdichtet, in der er als Zeitgenosse und Zeitzeuge der Welt den Spiegel vorhält. Amputierte, verschnürte, verstümmelte Figuren manifestieren sich wie aus dieser Spiegelwelt heraufbeschworen auf dem Papier. Selbstporträts und Köpfe scheinen auf, die  gegen –   im Blatt nie sichtbare – Bedrängnis und Bedrohung verzweifelt anschreien. Aktuell  explodiert „Der Schrei“ jetzt auch in einem Gemälde, denn nach längerer Pause malt Sakulowski wieder –  „Kranke Muse“, „Kranke Erscheinung“, neue, andere, aufregende Fortschreibungen seiner Themen seit 50 Jahren, wieder altmeisterliche Lasurmalerei, wieder diese einmalige Delikatesse der Farben, wieder Grauen und Schönheit.

Eine grandiose Werkschau auf 50 Schaffensjahre eines Künstlers, der unbeirrt seiner Berufung folgt, malend und zeichnend die Welt zu durchdringen. In dieser Auswahl gibt es nichts Beliebiges oder Gefälliges, aber eine ernste Schönheit, die ihre Kraft aus jenem unbeirrten Beharren auf Humanität zieht, dem Horst Sakulowski sich verschrieben hat.

Vernissage Sonnabend, 7. Juli, 16 Uhr, Panorama Museum Bad Frankenhausen, geöffnet bis 21. Oktober. Zur Ausstellung erscheinen eine Katalog sowie eine Arbeitsbiografie „Scherz und Gewissen“, verfasst von Rolf Sakulowski.

Welt und Zeit im Kaleidoskop

Werner Petzold – die Galerie Carqueville im Hauptsitz der Firma in Töppeln widmet dem Maler ihre neue Ausstellung

Von Angelika Bohn

Werner Petzold liebt die Bewegung. Nicht nur auf seinen Bildern. Er muss sich bewegen, wenn er malt. Der Malgrund und er, das ist eine Duett. Ein Duett, mal musikalisch und schwerelos wie beim Pas de deux, mal verbissen und kraftvoll wie zwei Ringer auf der Matte. Petzold muss weit ausholen können, wenn er malt. So ist das beim ihm seit 50 Jahren.